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Baustein
Möglichkeiten mit dem
Werkstoff Ton für
schwermehrfachbehinderte
SchülerInnen
Möglichkeiten mit dem Werkstoff Ton
Bildungsbereich Musik, Bildende und
Darstellende Kunst
1.
Vorwort
Herkömmliches Werken mit Ton kennen wir als
Umgang mit dem Material durch Kneten, Rollen
und Formen mit dem Ziel, ein schönes Werkstück
herzustellen (Schälchen, Figuren usw.)
Eine solche Vorgehensweise erfordert planendes
Handeln und große Fingerfertigkeit.
Viele schwermehrfachbehinderte SchülerInnen an
der Dreifürstensteinschule haben diese
Möglichkeit nicht. Sie können ihre Hand oder
beide Hände nur begrenzt zielge-richtet
einsetzen. Daraus kann verständlicherweise
Frustration und Entmutigung entstehen bis hin
zur Ablehnung, sich auf Neues einzulassen.
Wir wollen schwermehrfachbehinderten
SchülerInnen vermitteln, dass auch sie selbst
gestaltend und verändernd wirken können.
Der weiche, formbare Werkstoff Ton ist dafür
besonders gut geeignet.
Deshalb begannen wir neue Möglichkeiten zu
suchen:
•
Der Umgang mit Ton soll von unseren
SchülerInnen erlebt werden können als
elementare Material- und Körpererfahrung,
die ausdrücklich nicht die Herstellung eines
Werkstücks verlangt.
•
Wir wollen versuchen Bedingungen für
schwermehrfachbehinderte SchülerInnen zu
schaffen, die größtmögliche Selbstständigkeit
im Umgang mit Ton erlauben.
•
Die Vorstellung vom schönen Endprodukt
muss dazu aus den Köpfen betreuender
MitarbeiterInnen verbannt werden.
2. Umsetzung
Im Laufe der Jahre wurden die regelmäßig
stattfindenden Tongruppentermine für
schwermehrfachbehinderte
SchülerInnen fester Bestandteil des Schulalltags.
Inzwi-schen gibt es sieben Gruppen mit fünf bis
sieben SchülerInnen mit ihren Begleitpersonen
aus verschiedenen Klassen. „Zum Tonen gehen“
bedeutet für viele die Bewältigung einer weiten
Strecke zum Tonraum, sich Einlassen auf eine
neue Umgebung mit Anderen.
Einige SchülerInnen benötigen mehrere Wochen
Eingewöhnungszeit bis sie den regelmäßigen
Termin im Tonraum annehmen, sich dort
wohlfühlen und erst dann lang-sam mit dem
Material in Berührung kommen können.
Folgende Angebote erwarten die SchülerInnen je
nach Bedürfnislage und Neigung:
Ton fühlen
Ton erleben durch Schmieren, Matschen und
Klopfen mit Händen und Füßen / Schlickerplatte
Ton erleben und begreifen in verschiedenen
Tonkisten
Ton erleben und bearbeiten an der elektrischen
Töpfer-scheibe
Wir versuchen gute äußere Voraussetzungen zu
schaffen:
Wiedererkennbare Abläufe sollen vertraute
Rahmenbedingungen schaffen (Begrüßung und
Schürze anziehen, zu Beginn - Hände waschen,
eincremen und Verabschiedung am Schluss der
Tonstunde)
An höhenverstellbaren Tischen wird für eine
geeignete Sitzposition gesorgt und (in Absprache
mit FachlehrerInnen für Körperbehinderte) der
Einsatz von möglichen Hilfsmitteln geklärt.
Ankündigung im Klassenzimmer durch
Boardmakersymbole / Stundenplankarte.
a) Ton fühlen
Für viele SchülerInnen ist es eine angenehme und
entspannende Erfahrung sich die Hände mit sehr
weichem Ton und viel warmem Wasser
einschmieren und massieren zu lassen oder
selbst auf dem Tisch zu schmieren. Über
schmatzende Geräusche, das Empfinden von kalt
und warm, trocken und nass zusammen mit
einem ein-fühlsam betreuenden Gegenüber wird
vor allem nicht sprechenden und/oder stark
sehbeeinträchtigten Schüle-rInnen eine
besondere Kommunikationsmöglichkeit eröffnet.
b) Schlickerplatte
Die Schlickerplatten sind dunkel beschichtet und
auf verschiedene Formate für den Einzel- oder
Doppel-tisch zugeschnitten.
Auf der Platte wird ein dünner Tonbrei verteilt.
Die SchülerInnen können am Einzeltisch aktiv mit
großflächigen Bewegungen Finger- und
Handspuren sichtbar machen und wieder
wegwischen.
Die große Schlickerplatte eignet sich gut für
Partner- oder Gruppenarbeit. Beim gemeinsamen
Schlicker-spiel kann sich Kommunikation und
Begegnung ent-wickeln.
c) Tonkiste
SchülerInnen, die ihre Hände auch selbstständig
einsetzen, bearbeiten gerne Ton in der flächigen
Tonkiste. Die Kiste ist gefüllt mit leicht
schamottiertem Ton, der je nach Bedarf mit
Wasser glitschig gemacht werden kann.
Hier geht es um Materialerfahrung, den Abbau
von Berührungsängsten und den Einsatz beider
Hände. Spielerisch fühlen und betasten die
meisten SchülerInnen die zunächst noch glatte,
weiche Tonoberfläche und erkunden den
abgesteckten Rahmen, der durch die Kiste
vorgegeben ist.
Je nach Temperament, Krafteinsatz und
Bewegungsfähigkeit folgen Klopfen, Spuren
drücken, Löcher bohren, Herausreißen und
Zuschmieren, Auftürmen oder Aus- und
Einräumen.
Viele beginnen zu lachen, singen oder summen
und beziehen die Betreuenden in ihr Tun ein:
geben und nehmen, gegenseitig Hände
verpacken, verstecken und suchen.
d) Drehscheibe
Einige SchülerInnen sind zunächst beeindruckt
von der
Möglichkeit, am Pedal die Drehgeschwindigkeit
selbstständig zu regeln und das sich verändernde
Motorengeräusch wahrzunehmen. Andere legen
sofort eine oder beide Hände auf den weichen,
unschamottierten Ton und fühlen die
Drehbewegung. Viele spüren nach anfänglicher
Handführung sehr schnell, dass die kleinste
Bewegung der Finger oder der Hand auf dem
weichen Ton eine Veränderung bewirkt. Es
entstehen Rillen, Täler und Berge ohne
Kraftanstrengung.
Besonders SchülerInnen mit Spastiken oder
Muskelschwächen schätzen es bald sehr, dass die
große Bewegung von der elektrischen Scheibe
übernommen wird und selbst beim Einsatz von
nur einem Finger tiefe Spuren im Ton entstehen
können. Einige wollen gezielt Formen herstellen
und sind über Jahre regelmäßig konzentriert und
freudig beim Drehen kleiner Schälchen, die nach
dem Trocknen gebrannt und glasiert werden.
Die meisten genießen jedoch einfach das Gefühl,
den sich drehenden Ton in der Hand zu spüren,
fühlen nach, drücken, öffnen oft auch die zweite
Hand und entspannen sich sichtlich. Sie sind
„fertig“ und zufrieden, wenn der gesamte
Tonatzen von der Scheibe „weggedreht“ ist.
3. Gedanken zum Schluss
Wir haben beobachtet, dass SchülerInnen häufig
ihr Tun je nach Sprachfertigkeit mit Brummen,
Singen, Lachen, Kommentaren und Ausrufen
begleiten.
SchülerInnen mit größerer Sprachkompetenz
erzählen nebenher oder beim gemeinsamen
Händewaschen und Eincremen am Ende der
Tonstunde gerne von Erlebnissen und Gedanken,
die sie bewegen.
Die Freude und Ausdauer, mit der
schwermehrfachbehinderte SchülerInnen im
Tonraum arbeiten, gibt uns immer wieder die
Gewissheit, hier ein Angebot zu haben, das ihren
Bedürfnissen entspricht. Eine ganz entscheidende
Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft der
begleitenden MitarbeiterInnen, die in der Regel
nicht verbal signalisierten Bedürfnisse von
SchülerInnen zu erkennen, zuzulassen und zu
unterstützen, ohne mit eigenen Zielvorstellungen
in den Prozess einzugreifen.
Wir MitarbeiterInnen müssen uns im Klaren
darüber sein, dass es den meisten
SchülerInnen überhaupt nicht darum geht,
schöne Werke entstehen zu lassen: „Sinnvoll“
bedeutet vor allem eine einfühlsame
Begleitung, um die Begegnung mit dem
Material Ton mit allen Sinnen erleben und
genießen zu können.